GIALLO!
Tatort, aber mit aufgeschlitzten Kehlen und literweise Kunstblut: Gialli sind das Gorehound-Kontrastprogramm zum gemächlichen Sonntagabendkrimi. Die Storys der Gialli, welche ihren Namen von den gelben Einbänden italienischer Krimi-Groschenromane haben (von it. «giallo» für gelb), unterscheiden sich in Bezug auf Anlage und Anspruch meistens gar nicht so sehr von der durchschnittlichen Folge Polizeiruf 110: jemand kommt in einigermassen unzimperlicher Manier zu Tode, und der Zuschauer wird bis zum letzten Moment darüber im Unklaren gelassen, wer der Killer ist. Anders sieht es mit den Motiven der Mörder aus, die sind nämlich normalerweise von der ersten Sekunde an klar: so werden sie meist durch ein massives psychologisches Trauma in ihrer Kindheit oder andere psychopathologische Ursachen zu ihren Schandtaten getrieben. Und diese Taten haben es in sich: ohne viele Sentimentalitäten befördern die Killer ihre Opfer ins Jenseits, wobei auch schon einmal Gliedmassen abgetrennt- und der ein oder andere Schädel eingedetscht wird. Diese überzogenen Gewaltdarstellungen haben verschiedenen Gialli auch schonmal einen Platz auf dem Index beschert (aus diesem Programm wurde dieses Schicksal zum Beispiel Lucio Fulcis «Lo squartatore di New York» zu Teil, womit der Film in Fulcis Œuvre allerdings keinen Ausnahmefall darstellt). Wer sich daran nicht stört, bekommt hier deftige Unterhaltung geboten. Definitiv nicht für die ganze Familie geeignet!
Hinweis: Die Filme «Sei donne per l’assassino» (Blutige Seide) und «Lo squartatore di New York» (Der New York Ripper) zeigen wir in der Originalversion mit englischen Untertiteln.
Programmation: Sarah Stutte und Lucas Forberger
So 02. März 2025 • 19:30 Uhr
Sei donne per l'assassino (Blutige Seide)
Eine Adelige führt zusammen mit ihrem Liebhaber eine Modelagentur. Dort wird ein Mannequin nach dem anderen ermordet. Der ermittelnde Inspektor tappt im Dunkeln. Eine schwarze Handtasche und ein Tagebuch voller brisanter Details spielen hierbei eine wichtige Rolle. Ein Giallo-Programm ohne den Urvater des Genres geht nicht – denn mit diesem Film legte Mario Bava quasi den Grundstein zur Prägung des italienischen Horrorthrillers. In «Sei donne per l’assassino» finden sich schon einige der später vertrauten Tropen des Giallo, wie Neonlicht, dynamische Kameraführung, schräge Perspektiven, geteilte Dioptrien und voyeuristische Point-of-View-Aufnahmen. Und auch die Gewalt kommt nicht zu kurz. Diese wird hier interessanterweise nicht durch Rachegelüste oder psychologische Traumata ausgelöst, sondern trägt viel banalere menschliche Züge. Die Spannung liegt jedoch in erster Linie auf den zwischenmenschlichen Konflikten der Figuren. Die Morde sind in ein fesselndes Mysterium eingeflochten – einen verwirrenden, unvorhersehbaren Krimi, der sich um skandalöse Affären, Drogenmissbrauch, Intrigen, Erpressung und Verrat dreht. Eine melodramatische Seifenoper, die Hitchcock Respekt zollt. Der sadistische, doch dem Ambiente angemessene modebewusste Mörder – gekleidet in einen schwarzen Filzhut, einen weiten Trenchcoat und eine unheimliche weisse Maske – ist unbestreitbar ikonisch, aber die Enthüllung seiner Identität und das erschütternde Ende sind noch viel ikonischer. «Sei donne per l’assassino» ist mit seinen halluzinatorischen Bildern, der surrealen Atmosphäre ein fesselndes, unverzichtbares und völlig einzigartiges Horror-Meisterwerk.
86 Min, it/en, digital
Regie: Mario Bava
So 09. März 2025 • 19:30 Uhr
Non si sevizia un paperino (Quäle nie ein Kind zum Scherz)
Eine kleine Dorfgemeinschaft im ländlichen Italien der frühen Siebziger ist in Aufruhr. Ein Serienmörder geht um, und er scheint es ausschliesslich auf Kinder abgesehen zu haben. Unter Zugzwang beginnt die Polizei, Verdächtige zu verhaften, muss diese jedoch ohne handfeste Beweise bald wieder laufen lassen. Dem aufgebrachten Mob, der sich nach jeder Verhaftung erneut vor der Wache zusammenrottet, sind Beweise jedoch egal. Er will Blut sehen…Lucio Fulcis etwas uneben erzähltes, aber athmosphärisch doch dichtes Porträt einer Dorfgemeinschaft aus Basilikata arbeitet sich gleich mal durch einige der Chiffren, welche man auch schon aus anderen Gialli zur Genüge kennt: den durchgeknallten Serienkiller, der überaus brutal inszenierte Mord, die Polizei, die konstant im Dunkeln tappt, die Nacktszene, die man problemlos schneiden könnte, ohne dass sie jemand vermissen würde. Doch «Non si sevizia un paperino» weiss durchaus durch sein eigenständiges Setting, interessante Charaktere und die unaufgeregt erzählte Geschichte zu überzeugen. Dass die Motive besagter Charaktere zum Teil nicht ganz schlüssig sind und nicht alle Storytwists perfekt aufgehen: geschenkt! Lucio Fulci, normalerweise nicht für sein subtiles Handwerk bekannt (man bedenke nur, dass Ausweidungen, ausgestochene Augen und abgetrennte Köpfe in seinen Filmen an der Tagesordnung liegen), gelingt hier ein überraschend leiser, unaufgeregter Thriller, bei dem die wenigen Gewaltexzesse ihre Wirkung dafür aber umso heftiger entfalten. Sicherlich eines der ruhigeren Werke des Godfather of Gore, aber deswegen keineswegs langweilig!
105 Min, it/de, digital
Regie: Lucio Fulci
So 16. März 2025 • 19:30 Uhr
Berberian Sound Studio
Der britische Soundeffekte-Spezialist Gilderoy (Toby Jones) wird in den 70er-Jahren von einem italienischen, auf Giallos spezialisierten Tonstudio engagiert. Er soll den halbfertigen Film «The Equestrian Vortex» in der Postproduktion akustisch verfeinern. Die Geräusche dafür erzeugt Gilderoy beispielsweise, indem er auf Gemüse einschlägt und einsticht. Langsam taucht er in den sinnlichen Horror des Klangs ein: die Schreie, das Kratzen, das Klirren und Klicken – all das bringt seine inneren Ängste hervor. Zumal die dunklen Gänge und die sich wiederholenden verstörenden Töne das schäbige Gebäude wie eine psychiatrische Klinik wirken lassen. Nach und nach gleitet der einsame und heimwehkranke Gilderoy deshalb immer mehr ins Surreale ab. Er verliert in dem chaotischen Soundpool erst die Kontrolle über seine Arbeit und dann über sich selbst. «Berberian Sound Studio» von Regisseur Peter Strickland ist eine schräge, psychoakustische Attacke auf unsere Hör- und Sehgewohnheiten, die gerade durch das Fehlen von Schockbildern ihre sinistre Überwältigungskraft entfaltet. Die Handlung von «The Equestrian Vortex» wird nie auf der Leinwand gezeigt. Wir sehen nur das zerstückelte Gemüse als komisch-barbarisches Sinnbild der Gewalt. Im Zentrum steht der analoge Ton und Klang sowie die sonst nie sichtbare Ausrüstung zur Erzeugung und Manipulation der Toneffekte. Strickland erfüllt diese vordigitale Welt mit Leidenschaft und Faszination. Der Film, den ein Hauch früher David Lynch-Filme umweht, ist vom Giallo inspiriert und gleichzeitig eine moderne Hommage auf das Genre und die heute vergessene, handwerkliche Kunst der Filmvertonung.
92 Min, en/de, digital
Regie: Peter Strickland
So 23. März 2025 • 19:30 Uhr
Lo squartatore di New York (Der New York Ripper)
Ein Serienkiller zieht durch New York und tötet schöne Frauen – nicht ohne sie vorher zu quälen. Der erfahrene Polizeileutnant Fred Williams, der den Fall übernimmt, wird von dem Mörder mit Anrufen verhöhnt. Das Spezielle daran: Seine Stimme klingt wie diejenige von Donald Duck. Williams zieht einen renommierten Professor hinzu, der ihm hilft, ein psychologisches Profil des Mörders zu erstellen. Währenddessen überlebt eine Frau namens Fay einen Angriff, und nun leben sie und ihr Physikerfreund Peter in der Angst, dass der Mörder zurückkehrt. Lucio Fulcis Mischung aus Giallo und Slasher ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Selbst für Fulci ist dies ein ziemlich brutaler Film, der gewisse Ähnlichkeiten mit dem Schlitzer-Klassiker «Maniac» von 1980 aufweist. Nicht nur versucht sich Fulci ebenfalls an einer psychologische Studie des Mörders. Auch die Verfolgungsjagd in einer U-Bahn-Station erinnert anerkennend an den zwei Jahre zuvor gedrehten US-Film von William Lustig. Aus heutiger Sicht ist die Darstellung der Frauenfiguren sicher fragwürdig, für einen Giallo sind sie aber immer noch recht interessant angelegt und einigen von ihnen wird sogar mehr Widerstandskraft zugesprochen als in anderen Genrevertretern. Darüber hinaus ist «Lo squartatore di New York» recht unterhaltsam – nicht nur aufgrund der übertriebenen Sexploitation-Szenen und einiger Fremdschäm-Dialoge. Lustig ist vor allem das irritierende «Quack Quack» des Mörders, das zwar nicht ganz so wie bei Donald Duck gesprochen wird, aber mit einer hohen, piepsigen Stimme. Dieses seltsame Geräusch hat die Jahrzehnte seit der Erstveröffentlichung des Films überdauert.
87 Min, it/en, digital
Regie: Lucio Fulci
So 30. März 2025 • 19:30 Uhr
Profondo Rosso (Rosso – Farbe des Todes)
Marcus erlebt zufällig mit, wie seine Nachbarin ermordet wird. Vergeblich versucht er, ihr zu helfen, erhascht aber noch einen Blick auf den vermummten Killer. Aus dem Mord wird schnell eine Mordserie, doch die Polizei tut sich schwer dabei, brauchbare Spuren zu finden. So werden Marcus und seine neue Bekanntschaft, die Journalistin Gianna, zu Ermittler*innen wider Willen…«Profondo Rosso» ist ein relativ simpel erzählter Whodunit, der sich nur ungern mit Nebensächlichkeiten wie der Einführung glaubwürdiger Charaktere oder dem Folgen einer stringenten Storyline aufhält. Stattdessen setzt Dario Argento hier voll auf Inszenierung und athmosphärische Kulissen. Dieses Kalkül geht zu einem guten Stück auf. So ertappt man sich durchaus mal beim Fingernägelkauen, wenn man (aus der Sicht des Killers!) miterleben darf, wie sich der Irre auf die Jagd nach seinem nächsten Opfer macht. Das über-inszenierte Belauern und Verfolgen der Opfer durch den Killer und die ästhetisierten Mordszenen waren auch die Stilelemente, welche Regiekolleg*innen und Fans von Argentos filmischem Schaffen (so zählen ihn unter anderem Slasher-Pionier John Carpenter, Body Horror-Legende David Cronenberg und Saw-Schöpfer James Wan zu ihren Inspirationsquellen) in der Folge am liebsten in ihre eigenen Werke eingebaut haben. «Profondo Rosso» gilt auf jeden Fall zu Recht als Klassiker des Genres, welchem Fans für seine inszenatorischen Stärken seine erzählerischen Mängel jederzeit nachsehen.
127 Min, it/de, digital
Regie: Dario Argento