Nisches Favourites 2024
Und wieder ist ein Jahr vorbei vollgepackt mit guten Filmen, die es nicht in eines unserer Programme geschafft haben. Weshalb wir wiederum ein eigenes «Best of»-Monatsprogramm aus unseren persönlichen Jahreslieblingen machen. Dabei sind diesmal zwei Oscargewinner und zwei Geheimtipps. Sich nur auf vier Lieblingsfilme aus dem vergangenen Kinojahr zu beschränken, ist ein schwieriges Unterfangen. Letztendlich sind wir aber sehr zufrieden mit diesen filmischen Leckerbissen, die wir im Februar präsentieren: sie entführen in fantastische Welten, verlieren gleichzeitig aber nie die Bodenhaftung, zeigen menschliche Grausamkeit, den Kampf gegen autoritäre Regimes, erzählen von Abschied und Tod, von der Liebe und der Hoffnung. Vielleicht werden unsere Lieblingsfilme auch ihre.
Programmation: Sarah Stutte
So 02. Februar 2025 • 19:30 Uhr
Vorfilm - D'Gschicht vom grüene Chäs
So 02. Februar 2025 • 19:30 Uhr
Poor Things
Bella Baxter (Emma Stone) ist das Mündel des verrückten Wissenschaftlers Dr. Godwin Baxter, kurz «Gott» genannt. Dieser hatte die junge Selbstmörderin tot aus der Themse gefischt und an ihrer Leiche herumexperimentiert. Seitdem lebt Bella wieder, aber nun mit dem Gehirn ihres eigenen ungeborenen Kindes, das ihr von «Gott» implantiert wurde. Als ein schurkischer Anwalt die Schöne im Haus des Doktors entdeckt, nimmt er sie kurzerhand mit auf eine gemeinsame Reise. Dort entdeckt Bella erst die körperlichen Sinnesfreuden für sich und emanzipiert sich dann allmählich von den besitzergreifenden Männern um sie herum. Giorgos Lanthimos ist für seine surreal-skurrilen und gleichzeitig gesellschaftskritischen Filme bekannt («The Favourite», 2018). Dabei vermischt er verschiedene Genres zu einem unverkennbar eigenen Stil. Auch der absurd-makabre «Poor Things» – eine feministische Auslegung von Mary Shelleys Frankenstein-Roman – und selbst eine Romanvorlage, reiht sich in diese Linie ein. Visuell ist das Werk ein Höhepunkt des vergangenen Filmjahres. In ungewöhnlicher Steampunk-retrofuturistischer Ästhetik werden die künstlichen Welten detailreich erschaffen. Teilweise in Schwarz-Weiss, dann wieder in Farbe, manchmal durch ein Fischeraugenobjektiv gefilmt. Emma Stone spielt schlicht brillant, doch auch Mark Ruffalo glänzt als schnurrbärtiger Lebemann in dieser kritischen Fabel über die ethischen Grenzen der Wissenschaft, über die Schöpfungsgeschichte und das, was Menschlichkeit ausmacht.
141 Min, en/de, digital
Regie: Giorgos Lanthimos
So 09. Februar 2025 • 19:30 Uhr
All of Us Strangers
Der Drehbuchautor Adam (Andrew Scott) ist einsam. Er hadert mit der Arbeit an einem Drehbuch, das von der Beziehung zu seinen verstorbenen Eltern inspiriert ist. Sie kamen bei einem Autounfall ums Leben, als Adam zwölf Jahre alt war. Um sich dazu aufzuraffen, sich mit dem eigenen Trauma auseinanderzusetzen, schaut er sich grübelnd alte Fotos aus seiner Kindheit an oder legt die Musik von damals auf den Plattenteller: Frankie Goes to Hollywoods «The Power of Love». Er lebt in einem modernen, seltsam ausgestorbenen Hochhaus in London, macht aber dann die Bekanntschaft von Harry (Paul Mescal), der im selben Block zu wohnen scheint. Als dieser sich Adam nähern will, weist er ihn erst ab – und lässt sich dann doch langsam auf eine Beziehung zu ihm ein. Gleichzeitig scheint Adam die Fähigkeit zu haben, zurück in die Zeit zu reisen. Denn er trifft seine verstorbenen Eltern (Claire Foy und Jamie Bell) in dem Haus seiner 80er-Jahre-Kindheit – sie sind noch genauso jung wie damals und auch alles andere ist unverändert. Adam besucht diesen Ort daraufhin mehrmals, um verpasste Chancen zu nutzen, seine Gedanken und Gefühle zu offenbaren. In Andrew Haighs wunderschön-melancholischem Film über die Liebe und das Alleinsein zeigen alle vier Darsteller:innen grossartige Leistungen. Die Adaption eines japanischen Romans ist eine poetisch-fantastische Auseinandersetzung mit Abschied und Trauer und gleichzeitig ein berührendes Gedenken der vielen schwulen Opfer der Aids-Pandemie.
105 Min, en/de, digital
Regie: Andrew Haigh
So 16. Februar 2025 • 19:30 Uhr
The Zone of Interest
Die deutsche Familie Höss lebt in den 40er-Jahren in dem von den Deutschen besetzten Polen ein privilegiertes Leben. Die fünffache Mutter Hedwig investiert viel Zeit in ihren liebevoll eingerichteten Garten. Sie freut sich über die Unterstützung ihrer unbezahlten Hausangestellten und geniesst idyllische Picknicks am nahen Flussufer. Das alles, weil ihr Mann Rudolf jeden Morgen das Haus verlässt, um gleich um die Ecke seiner Tätigkeit nachzugehen. Er ist Lagerkommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, dessen Mauer an das Grundstück grenzt. Der britische Regisseur Jonathan Glazer hat mit seiner Romanverfilmung etwas geschaffen, was nicht leicht zu verdauen ist. Hier wird Unmenschlichkeit in der Banalität des Alltags verbildlicht. Die Leiden der jüdischen Gefangenen werden nie direkt gezeigt. Doch ihre Knochen liegen auf dem Grund des Flusses, in dem die Familie schwimmen geht und hinter den Mauern sind ihre Schreie zu hören. Alles, was am Schluss von ihnen bleibt – ihre Kleider, ihre Zähne – finden sich später in den Händen der diesen Schicksalen gleichgültig gegenüberstehenden Familie wieder. Wenn Rudolf Höss – der als Kriegsverbrecher 1947 zum Tode verurteilt wurde – in der Abenddämmerung an seiner Dusche im Garten hantiert und im Hintergrund die Verbrennungsöfen auf Hochdruck arbeiten, liegt darin so viel Grausamkeit, dass man sie fast nicht ertragen kann. «The Zone of Interest» ist zudem filmisch interessant, weil Glazer mit minutenlangen Überblendungen die unbequeme Stimmung noch verschärft und am Ende sogar seinen Hauptdarsteller in die dokumentarische Gegenwart blicken lässt.
106 Min, de, digital
Regie: Jonathan Glazer
Di 18. Februar 2025 • 19:00 Uhr
SPEZIAL zum 8. März, "I AM THE REVOLUTION"
I AM THE REVOLUTION ist ein inspirierender Dokumentarfilm über die drei Frauen Selay Ghaffar, Rojda Felat und Yanar Mohammed, aus Afghanistan, Syrien und Irak. Jedes Land spiegelt den Aufschwung der feministischen Revolutionen wider: die politische Revolution in Afghanistan, die bewaffnete in Syrien und der Aktivismus an der Basis im Irak. Mit seinem journalistischen Ansatz stellt der Film die Bilder von verschleierten, schweigenden und zaghaften Frauen im Nahen Osten in Frage und zeigt stattdessen die Stärke von Frauen, die sich an der Front, in abgelegenen Dörfern und auf den Straßen der Städte erheben, um ihre Stimme und ihre Rechte einzufordern.
Im Vorfeld des diesjährigen 8. März intertnationaler feministischer Kampftag, zeigt das Kino Nische den Film «I am the Revolution». Schauen wir uns gemeinsam den Film an und lasssen uns motivieren von den verschiedenen wiederständischen Kämpfen.
– GEGEN DIE UNTERDRÜCKUNG VIELER, FÜR DIE BEFREIUNG ALLER –
Feministischer Wiederstand, heraus zum 8. März
Eintritt frei, Kollekte
Cis-Männer bleiben solidarisch fern
75 Min, englisch/kurdisch/arabisch/dari, digital
Regie: Benedetta Argentieri
So 23. Februar 2025 • 19:30 Uhr
Tatami
Während der Frauen-Judo-Weltmeisterschaften in Tiflis, Georgien, zeigt die iranische Judokämpferin Leila (Arienne Mandi) bessere Leistungen, als alle ausser vielleicht ihrer Trainerin Maryam (Zar Amir Ebrahimi) erwartet hatten. Leilas Erfolg stellt für die iranische Regierung allerdings ein Problem dar, denn er bedeutet, dass sie im Finale womöglich gegen eine israelische Kämpferin antreten muss. Das Regime sieht es als eine Demütigung für den Iran an, unter Umständen gegen den Erzfeind Israel zu verlieren. Deshalb setzt es die eigene Sportlerin unter Druck, vorzeitig aus dem Turnier auszuscheiden – indem sie eine Verletzung vortäuschen soll. Doch Leila weigert sich vehement ihren Traum aufzugeben und setzt ihre Siegesserie fort, weshalb es in der Halle zu persönlichen Drohungen kommt und im Iran ihre Eltern entführt werden. «Tatami» ist der erste Spielfilm, bei dem eine iranische Filmemacherin (Zar Amir Ebrahimi, die auch eine der beiden Hauptrollen spielt) und ein israelischer Filmemacher (Guy Nattiv) gemeinsam Regie geführt haben. Nattiv und Amir Ebrahimi zeigen in ihrer Mischung aus Sportfilm und Politthriller auf eindrückliche Weise, wie sich komplexe und hochbrisante sozial-gesellschaftliche Gegebenheiten mit spannendem Genrekino verbinden lässt. Schauspielerisch überzeugt Ebrahimi als zwischen Angst und Reue zerrissene Figur genauso wie Mandi, die sich mit aller Wucht gegen das Unrecht stellt. Der in ästhetischem Schwarz-Weiss gedrehte Film beruht auf wahren Begebenheiten. Einerseits auf der Geschichte des Judoka Saeid Mollaei, andererseits auf derjenigen der Boxerin Sadaf Khadem.
104 Min, en/de, digital
Regie: Zar Amir Ebrahimi/Guy Nattiv